1980-1990

Hohe Ansprüche - harte Realitäten (1980 - 1990)

 

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Das nunmehrige Bezirkskrankenhaus Dresden-Neustadt umfasst 8 Kliniken (4 Medizinische Kliniken, eine Chirurgische Klinik, eine Frauenklinik, eine Kinderklinik und eine Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie), 7 Abteilungen (2 Klinische Laboratorien, jeweils eine Abteilung für Radiologie, Physiotherapie, , Biomedizintechnik und eine Interdisziplinäre Abteilung), je eine Aufnahmestation für die Medizinischen Kliniken und für die Chirurgische Klinik, eine Apotheke sowie einen großen ökonomisch-technischen Bereich einschließlich zentralem Fuhrpark. Er versorgt zugleich alle medizinischen Einrichtungen des Stadtbezirkes Dresden-Nord.
Dem Krankenhaus sind eine Reihe kreisgeleiteter Einrichtungen des Gesundheitswesens zugeordnet, z.B. die Schnelle Medizinische Hilfe, die Kreisstelle für ärztliches Begutachtungswesen und die Kreisstelle für Rehabilitation.
Die Kliniken verfügen über rund 1150 Betten. Im Jahr 1985 werden 15 500 Patienten stationär behandelt. Obwohl keine poliklinischen Einrichtungen am Krankenhaus vorhanden sind, wird in Form improvisierter Klinikambulanzen eine Vielzahl ambulanter Leistungen erbracht. Der jährliche finanzielle Gesamtaufwand für das Krankenhaus beträgt 1984 fast 34 Millionen Mark.

Die Mitarbeiterzahl ist relativ konstant. 1989 arbeiten im Bezirkskrankenhaus Dresden-Neustadt 1124 Personen, von denen 775 dem medizinischen Bereich angehören. Darunter befinden sich 317 Krankenschwestern, 106 Kinderkrankenschwestern, 27 Hebammen, 22 medizinisch-technische Röntgenassistenten, 40 medizinisch-technische Laborassistenten, 25 Physiotherapeuten und 2 Fürsorgerinnen.
Zum Hilfspersonal zählen 24 Personen. Die Zahl der Ärzte beträgt 122. Der Promotionsgrad ist auf 86 % gestiegen. 80 % der Mitarbeiter sind Frauen. Etwa 50 % der Schwestern im 3-Schicht-System sind jünger als 25 Jahre. 40 % der Mehrschichtarbeiterinnen sind Mütter mit zwei und mehr Kindern.
Die medizinischen Leistungen befinden sich auf einem - aus der Sicht der damaligen Zeit - bemerkenswertem Niveau. Dafür stehen sowohl der Aus- und weitere Aufbau der mit Einführung der operativen , der Infektiologie mit überregionalen Aufgaben und der AIDS-Behandlung. Dazu gehören die zunehmende Profilierung bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen und chronischer Schmerzzustände sowie die Anwendung von Akkupunktur, Manual- und , der Aufbau der haematologisch-onkologischen Abteilung sowie die Übernahme der bezirklichen Leitfunktion auf dem Fachgebiet der . Zu nennen sind weiter die Profilierung der Frauenklinik im Bereich der Risikoschwangerschaften sowie der Aufbau einer Perinatologischen Abteilung für die Bezirkskrankenhäuser Dresden-Neustadt und Dresden-Friedrichstadt. Zu nennen sind die Einführung der Regionalanästhesie und neuer kombinierter Narkoseverfahren, die Anwendung moderner Beatmungsverfahren in der Intensivtherapie und während der Narkose sowie die Einführung von und im Zuge des Aufbaus einer neuen und leistungsfähigen Röntgenabteilung.
Besonders die Bedeutung der , als dritte derartige Einrichtung in Dresden, und die Inbetriebnahme der Mammographie, die in kürzester Zeit auf 4500 Untersuchungen kommt, sind hervorzuheben.
Die Besonderheiten der Entwicklung des Krankenhauses Dresden-Neustadt bringen es mit sich, dass bis in die Gegenwart hinein Gebäuderekonstruktionen und Bauprobleme eine besondere Rolle spielen.
Jeder Umzug, jeder Standortwechsel, jede Neugliederung wirft Probleme der sachgerechten Unterbringung auf, die im Interesse der medizinischen Versorgung schnell, optimal und unaufwendig gelöst werden müssen. Doch die Verwaltung des Geschaffenen ist über viele Jahre hinweg eine Verwaltung des Mangels.

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Genügt in den ersten Jahren der zum großen Teil in freiwilliger Gemeinschaftsarbeit verrichtete Aufbau von Baracken für die Röntgenabteilung (1948), für Patientenaufnahme und Werkstatt (1948), als Exitushaus (1948), als Labor (1950) oder als Speise-, Kultur- und Versammlungsraum (1947/48), in einer Mischung von Ironie und Stolz als "Kongresshalle" bezeichnet, so folgen bald anspruchsvollere Aufgaben: Umfangreiche Elektro- und Sanitärinstallationen, Errichtung von Verbindungsbauten zwischen den Pavillons des ehemaligen Altersheimes mit dem Einbau von Aufzügen, Bau der Schwesternwohnheime (1958/59) und Rekonstruktion der Heizanlagen, verbunden mit dem Neubau eines Heizhauses in der Industriestraße (1960-62).

Die Inbetriebnahme der Hauptküche (1980) besitzt bereits ein Investitionsvolumen von 761 000 Mark. Dazu kommen immer wieder Werterhaltungsarbeiten und Grundinstandsetzungen an der maroden Bausubstanz der Außenstellen und schließlich der Neubau eines Bettenhauses im Klinikum Weißer Hirsch.
1986 gehören zum Bezirkskrankenhaus Dresden-Neustadt 61 Gebäude, die sich nördlich der Elbe auf ein Gebiet von Radebeul bis Oberloschwitz verteilen. Etwa die Hälfte der Gebäude wurde bereits im 19. Jh. errichtet. Die dem Bezirkskrankenhaus Dresden-Neustadt angeschlossene Medizinische Fachschule ist zwar die größte des Bezirkes Dresden, besitzt jedoch erwiesenermaßen in ihrem Lehrgebäude auf der Louisenstraße und mit dem wichtigsten Internat auf der Radeberger Straße die schlechtesten Bedingungen hinsichtlich Raumkapazität und Gebäudesubstanz.

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Doch gerade auf dem Bausektor häufen sich die Schwierigkeiten. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Energiekrise werden 1979/80 alle Vorhaben der funktionellen Umgestaltung einzelner Bereiche gestoppt, um die freiwerdenden Mittel für eine Umstellung der Energieträger im Gesundheits- und Sozialwesen einsetzen zu können. In einem Auskunftsbericht des Ärztlichen Direktors des Bezirkskrankenhauses Dresden-Neustadt für eine Kontrollgruppe der SED-Stadtleitung im Jahr 1980 wird festgestellt, dass durch die einschneidenden Kürzungen die einfache "Reproduktion der unbeweglichen Grundmittel", mit anderen Worten, der Erhalt der Funktionsfähigkeit von Gebäuden und Anlagen, nicht mehr gegeben ist.

Aus der für 1980 bilanzierten Baukapazität ergibt sich ein Einsatz von 1,31 Mark Werterhaltungsmittel für 100 Mark unbewegliche Grundmittel. Das liegt weit unter dem DDR-Durchschnitt.
Zu den 1979/80 abgebrochenen Um- und Ausbaumaßnahmen zählen u. a. die Notstrom-, Notwasser- und Notwärmeversorgung und der Bau von Aufzügen. Immer stärker werden öffentliche Einrichtungen - so auch das Krankenhaus Dresden-Neustadt - bei der Werterhaltung auf die Mobilisierung "territorialer Reserven" verwiesen. Das heißt, dass Großbetriebe, die sich zur Lösung ihrer Probleme längst eigene Bauabteilungen geschaffen haben, zur zusätzlichen Übernahme von Bauleistungen im Rahmen der "Volkswirtschaftlichen Masseninitiative" (VMI) verpflichtet werden. So haben die Volkseigenen Betriebe Otto-Buchwitz-Werk , Flugzeugwerft Dresden, Elektromat, Baureparatur Ost und das Institut Manfred von Ardenne in den Jahren von 1976 bis 1979 zugunsten des Bezirkskrankenhauses Dresden-Neustadt Leistungen im Wert von 721 000 Mark erbracht und damit das Schlimmste verhütet. Doch das gelingt - wie das Jahr 1983 zeigt - nicht immer.
1987 können nur vier der 18 vorgesehenen Werterhaltungsmaßnahmen in die staatlichen Pläne eingeordnet werden. Die Bauarbeiten in der Klinik Oberloschwitz, die 1985 endlich begonnen haben, werden auf zentrale Weisung eingestellt, die Bauarbeiter abgezogen. 50 internistische Betten können für lange Zeit nicht belegt werden. Schwerwiegend ist der Verzug beim Bau des Gebäudes für die Röntgenabteilung Trachau. Noch ehe sie richtig begonnen haben, kommen die Arbeiten für den Neubau wegen Abzugs der Arbeitskräfte durch den Baubetrieb bereits wieder zum Stillstand.

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Die für den 1. 7. 1987 angekündigte Übergabe des 1. Bauabschnittes (Baukosten 2,6 Mio. Mark) muss wegen Mängeln im Bauablauf und in der Bauausführung mehrfach verschoben werden. Sie erfolgt schließlich am 28. Januar 1988. Zwei Röntgenanlagen können in Betrieb genommen werden, der Aufbau der dritten (Gerätekosten insgesamt 1,5 Mio. Mark) Anlage ist noch nicht abgeschlossen. Auch der Gefäßdiagnostikplatz kann wegen Lieferverzug für das Hauptgerät noch nicht eingesetzt werden. Der Beginn des 2. Bauabschnittes ist für den 1. September 1988 geplant. Er wird wegen Schwierigkeiten beim bauausführenden Betrieb verschoben. Im Januar 1989 schließlich muss die Krankenhausleitung zur Kenntnis nehmen, dass der weitere Ausbau der Röntgenabteilung 1989 nicht fortgesetzt werden kann.

Diese Liste ließe sich fortführen. Doch gibt es auch andere Beispiele. Obwohl vom Rat des Kreises Dresden-Land für die Instandsetzung des Ermelhauses 1987 keine Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden, gelingt es den Mitarbeitern des Bereiches Technik unter großem persönlichen Einsatz und Nutzung territorialer Reserven - meist Umschreibung für Aktivitäten, die sich in einer Grauzone zwischen Legalität und Schwarzbau bewegen - diese Arbeiten planmäßig weiterzurühren. Dabei werden Werterhaltungsmittel in einer Höhe von immerhin 190 500 Mark eingesetzt.

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Der generelle Mangel an Dienstleistungen führt dazu, dass das Krankenhaus mit Beginn der 80er Jahre einen eigenen Dienstleistungssektor entwickelt. Die Abteilung Technik, die bis in die 70er Jahre vorwiegend betriebstechnische Aufgaben löst, verwandelt sich 1985 in einen Bereich Technik, dem 4 Abteilungen (Bauvorbereitung, Bauregie, Betriebstechnik und Biomedizintechnik) sowie das Arbeitsgebiet Materialökonomie angehören. Von den 82 Mitarbeitern dieses Bereiches haben 12 einen Hochschul- und 15 einen Fachschulabschluss. 9 Meister und 42 Facharbeiter zählen weiterhin dazu. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Abteilung Biomedizintechnik. Sie wird nicht nur für die Wartung und Instandhaltung des immer umfangreicher und spezialisierter werdenden medizinischen Geräteparks benötigt.

Viele dieser Geräte kommen aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, Ersatz- und Verschleißteile sind kaum zu beziehen und müssen selbst angefertigt werden. Die Schaffung der Abteilung Biomedizintechnik ist zugleich ein Versuch, durch eigene Geräteentwicklung und eigenen Gerätebau mit dem sich unter dem Einfluss der Elektronik und der Datenverarbeitung rapide entwickelnden internationalen Niveau der Medizintechnik Schritt zu halten, ein trotz aller bemerkenswerter Einzelleistungen hoffnungsloses Vorhaben.
1987 bestehen die materiellen Voraussetzungen, um erste bescheidene Schritte zur Einbeziehung moderner Rechentechnik in den medizinischen Alltag unternehmen zu können. Knapp 40 Klein- und Bürocomputer aus DDR-Produktion, einige Zusatzgeräte und als Drucker umgebaute elektronische Schreibmaschinen stehen zur Verfügung.
In den 80er Jahren wird es für die Mitarbeiter des Krankenhauses Dresden-Neustadt immer schwieriger, dem öffentlichen Bedarf und dem eigenen Anspruch bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu entsprechen. Dem Bezirkskrankenhaus obliegt die Grundversorgung aller Bürger des Stadtbezirkes Dresden-Nord sowie eines größeren Teiles des Stadtbezirkes Dresden-Ost - mit anderen Worten, nahezu aller Bewohner der Neustädter Elbseite Dresdens. Darüber hinaus ist das Krankenhaus für eine Reihe spezialisierter und hochspezialisierter Aufgaben in der medizinischen Versorgung des Umlandes zuständig. Der Einzugsbereich reicht im Südwesten bis Dippoldiswalde, im Norden bis nach Meißen, im Osten bis Bischofswerda.
Infolge gravierender räumlich-funktioneller Mängel werden jedoch die guten medizinischen Leistungen für Patienten und Besucher immer weniger erlebbar. Raumnot und unwürdige äußere Bedingungen überschatten die Ergebnisse engagierter fachlicher, dem Patienten zugewandter Arbeit.
Mit einer umfassenden Studie - Entwicklungskonzeption für das Bezirkskrankenhaus Dresden-Neustadt - wendet sich die Krankenhausleitung im Januar 1986 an die staatlichen Organe. In dem umfangreichen und gut dokumentierten Schriftstück wird die deprimierende Situation ungeschminkt dargelegt. Die seit 1979/80 drastisch reduzierten materiellen und finanziellen Fonds reichen nicht einmal für die Aufgaben der Grundinstandhaltung. "Ohne umgehende Kapazitätszuführung ist die medizinische Betreuung unserer Bürger gefährdet", stellt die Krankenhausleitung fest. An anderer Stelle heißt es: "Die Folgen in der medizinischen Betreuung der über 1 Million Menschen in der Stadt und im Dresdner Umland sind beim Ausfall der gefährdeten Klinikbereiche nicht zu übersehen. Diese Einschätzung kann bereits beim 'normalen' Krankheitsgeschehen nicht dringlich und oft genug wiederholt werden - kein verantwortlicher Leiter wird darüber hinaus die Konsequenzen unterschätzen, die sich im Falle einer Katastrophe u. ä. Ereignisse ergeben."
Die Konzeption orientiert auf einen Etappenplan, der mit Sofortmaßnahmen für eine "unverzichtbar notwendige Schaffung von chirurgischen Arbeits- und Bettenplätzen" bei Konzentration auf das Klinikum Trachau beginnen muss.
Im nationalen und internationalen Vergleich kommt ein chirurgischer Arbeitsplatz auf 20 bis 40 Betten. Im Krankenhaus Dresden-Neustadt sind es 208 Betten im Jahr 1986.

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Dem Beispiel aus dem Bereich der Chirurgischen Klinik folgt die Aufzählung vieler ähnlicher Probleme. Hoffnung auf Lösung der brennendsten Probleme werden mit dem Projekt eines Neubaus an der Kopernikusstraße verbunden.
Die Reaktion der Adressaten auf diesen Aufschrei der verantwortungsbewussten Mediziner ist gering, sporadisch, punktuell, unzureichend. 1987 inspiziert eine Kontrollgruppe des Ministerrates der DDR die Situation bei der chirurgischen Versorgung durch das Krankenhaus Dresden-Neustadt. Die Räte der Stadt und des Bezirkes Dresden fassen den Beschluss über den Neubau einer Medizinischen Fachschule in den Jahren 1989/90.

Der stationäre Versorgungsgrad im Dresdner Gesundheitswesen ist insgesamt deprimierend. Kommen im DDR-Vergleich auf 1000 Einwohner 102 Krankenhausbetten, so sind es in Dresden nur 90. 23 % der für die Bevölkerung vorgesehenen Kapazität gehen darüber hinaus für überterritoriale Aufgaben verloren. Die Krankenhäuser müssen einen hohen Anteil an Pflegefällen tragen. 1988 ist jedes dritte Bett des Bezirkskrankenhauses Dresden-Neustadt mit einem Pflegefall belegt. Schließlich führen die sich ewig hinschleppenden Reparatur- und Rekonstruktionsmaßnahmen in den drei großen Dresdner Krankenhäusern zu einer weiteren Reduzierung der Bettenzahl - im Jahr 1984 um durchschnittlich 400. Die DDR ist am Ende ihrer Leistungskraft angekommen.
Im Bezirkskrankenhaus Dresden-Neustadt beginnt jede Dienstberatung der Chefärzte mit einer makabren Routine. Der Leiter der Krankenhausapotheke informiert über die aktuelle Lage in der Medikamentenversorgung. "Defekte" und "Totaldefekte" werden benannt und damit das Fehlen wichtiger Arzneimittel bezeichnet. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Die Kreis- Gerätekommission der Stadt Dresden stellt in ihrer Jahresanalyse "Grundfondsanalyse Medizintechnik 1983" fest, dass mit 8,4 % Gerätezugang (2,4 Mio. Mark) die erforderliche Reproduktionsquote für die einfache Reproduktion - also die Ersetzung des bereits Vorhandenen - von 10 % nicht erreicht werden kann. Fast zur gleichen Zeit stellt der Ökonomische Direktor des Krankenhauses fest, dass 75 % der beweglichen Ausrüstung verschlissen sind und dringend ersetzt werden müssen. Kontingentierter Kraftstoff behindert Fahrten zu speziellen Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen sowie Vorstellungen von Kranken in anderen Fachabteilungen. Im August 1986 fehlt EEG-Papier. Entsprechende Untersuchungen können nicht vorgenommen werden. Im III. Quartal 1987 kommt es zu einer "endgültigen Zuspitzung des Spritzenproblems. Der Nachschub ist zahlenmäßig nicht gedeckt", so die Krankenhausleitung am 7 Juli 1987. Die Belieferung mit medizinischem Verbrauchsmaterial erfolgt 1988 nur zu 50-75 %. Es fehlen Wäsche, Einmalgebrauchsartikel und Abstrichröhrchen für bakteriologische Untersuchungen. Um ausreichende Belieferung mit Heizmaterial muss man sich Sorgen machen, und die Werkküche legt 1982 sogar schon einmal einen "fleischlosen Tag" pro Woche ein.
Immer prekärer wird die Arbeitskräftesituation. Es fehlt an Kraftfahrern und Reinigungskräften. Der Krankenstand ist hoch. 1985 dürfen Kraftfahrer in der Saison nur 14 Tage Urlaub nehmen. Die Stellen der Heizer sind nur zur Hälfte besetzt. Heizer und Hausmeister leisten eine ?kaum vertretbare Anzahl von Überstunden". Dabei kommt es durch den Einsatz von Rohbraunkohle zu zusätzlichen Erschwernissen.
Von 39 Sekretärinnen fehlen 16.
Es mangelt an Küchenpersonal. Durch gegenseitige Hilfe - d. h. Bürokräfte werden zeitweise in der Küche eingesetzt - kann die Versorgung im wesentlichen garantiert werden. Mitte 1988 muss die Reduzierung von Diäten erwogen werden. Die Speisenversorgung in der Medizinischen Klinik Oberloschwitz ist aus personellen Gründen kaum mehr abzusichern.
Auch beim medizinischen Personal nimmt die Unterbesetzung und Überlastung dramatisch zu. In einem Situationsbericht des Ärztlichen Direktors an den Kreisarzt wird beklagt, dass "Schichtschwestern" in Polikliniken abwandern. Darüber hinaus müssen Schwestern für Musterungen Wehrpflichtiger und Chirurgen zum Reservistenwehrdienst abgestellt werden. Im Frühjahr 1988 beantragt die I. Medizinische Klinik wegen akutem Arbeitskräftemangel den Antrag auf Schließung der Station F I. Auf planbare Operationen muss der Patient im Durchschnitt 78 Wochen warten.
Im Sommer 1989 wird versucht, die angespannte Arbeitskräftesituation beim mittleren medizinischen Personal in fast allen Kliniken zumindest an den Wochenenden durch Unterstützung aus den nichtklinischen Bereichen zu kompensieren, Auf der Kreisarzt-Dienstberatung im April 1989 wird ein "Fehlen des Optimismus zur Lösung der Aufgaben ...bei den Mitarbeitern des Gesundheits- und Sozialwesens" festgestellt.
Unter dem Eindruck dieser Entwicklung ist bei vielen Mitarbeitern eine spürbare Enttäuschung über den Sinn ihres Engagements zu verzeichnen. In der Krankenhausleitungssitzung vom 27. Januar 1988 wird erstmals festgestellt, dass die Zahl der Anträge auf Übersiedlung in die BRD weiter gestiegen ist. Die Hälfte der Antragsteller ist jünger als 25 Jahre. Als Gründe werden fehlende Reisefreiheit und ungenügende Versorgung mit Konsumgütern genannt. Letztlich sind es im Jahr 1988 32 Personen. Im November 1989 muss konstatiert werden, dass 56 Mitarbeiter aus dem medizinischen und 18 Mitarbeiter aus dem ökonomisch-technischen Bereich die DDR verlassen haben. Auch von den Fachschulstudenten verlassen viele - vorrangig zukünftige Krankenschwestern - die DDR. Das schränkt den geplanten Zuwachs an Schwestern im Krankenhaus Dresden-Neustadt weiter ein. Bis zum Oktober 1989 beträgt der Verlust für das Dresdner Gesundheitswesen insgesamt 320 Mitarbeiter (ohne Medizinische Akademie), darunter 80 Hochschulkader, vorwiegend aus den Fachrichtungen Chirurgie, Stomatologie und Urologie. Besonders gravierend sind die Auswirkungen im ambulanten Bereich, wo z.T. die Sprechstunden nicht mehr besetzt werden können.
Im Herbst 1989 verändert sich die Situation auch im Bezirkskrankenhaus Dresden-Neustadt. Die bisherigen gesellschaftlichen Strukturen verlieren ihren Einfluss .Viele Mitarbeiter drängen auf Mitbestimmung und Veränderung. In der Abteilung Biomedizintechnik wird die Forderung nach Wählbarkeit und Abwählbarkeit staatlicher Leiter sowie nach öffentlichen Aussprachen zu allen Problemen erhoben. Andere Mitarbeiter verlangen die Verteilung des freigewordenen Lohnfonds der Ärzte, die das Krankenhaus verlassen haben.
Am 15. November 1989 nehmen erstmalig 10 Oberschwestern und Schwestern sowie weitere 9 Mitarbeiter an der Chefärztedienstberatung teil. Es werden Probleme der demokratischen Umgestaltung des Krankenhauses, der spezifischen Arbeitsorganisation sowie der materiellen Vergütung diskutiert. Es geht um Inhalt und Durchführung von Betriebsversammlungen, die Gestaltung von Arbeitsdokumenten und Plänen, die Zahl von Veranstaltungen und Konferenzen, die nichts mit dem medizinischen Versorgungsauftrag zu tun haben. Es wird beschlossen, Krankenhaus-, Sicherheits- und Kulturkonferenzen nicht mehr durchzuführen. Es wird keinen sozialistischen Wettbewerb mehr geben. Das Büro für Neuererwesen wird aufgelöst.
Der nicht ausgeschöpfte Lohnfonds von Mitarbeitern, die das Krankenhaus verlassen haben, beträgt 80 000 Mark. Die Hälfte davon soll unter Berücksichtigung der Bettenauslastung in den einzelnen Stationen und der höheren Verantwortung der Oberschwestern an die Mitarbeiter ausgezahlt werden, die die Mehrbelastung im besonderen Maße tragen. Es wird über eine Optimierung der Stationsgrößen und die Festlegung des Personalbedarfs für eine Minimal- und eine Optimalbetreuung diskutiert. Ende des Jahres 1989 ist ein Krankenhausrat mit zwei Arbeitskreisen als Interessenvertreter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Aufbau.
Im Krankenhaus Dresden-Neustadt läuft im November 1989 ein Hilfsprogramm an. Seit dem 1. Dezember gibt es die Unterstützung von 20 Soldaten, die im Fiedlerhaus untergebracht werden. Es fehlt jedoch nach wie vor an Fachkräften.

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Moral und Einsatzbereitschaft der Ärzte und Schwestern unter diesen widrigen Bedingungen sind bewundernswert. Die I. Medizinische Klinik verfügt über ein Potential von 145 Betten. Trotz des Fehlens von ca. einem Drittel der Schwestern wird 1989 ein hoher Patientendurchlauf erreicht. Es werden über 200 Patienten mehr als geplant behandelt. Dazu müssen mehrfach Betten im Gang aufgestellt werden. 25 % der Patienten sind Pflegefälle. Die Übernahme durch Pflegeheime ist fast aussichtslos. Schließlich muss die Station H III wegen Schwesternmangel schließen. Es gibt 5 unbesetzte Facharztstellen.

Die Gesamtbettenzahl des Bezirkskrankenhauses Dresden-Neustadt beträgt nunmehr 1099, von denen im Durchschnitt 996 Betten belegt und 102 Betten wegen baulicher Mängel oder fehlenden Personals gesperrt sind. Der hohe Anteil an Pflegefällen erhöht die Verweildauer der Patienten auf durchschnittlich 18,8 Tage. Die Chirurgische Klinik bilanziert für 1989 2915 Operationen, die Frauenklinik 414 Operationen.

© Verlag Horst R. Rein, Dresden, 1998